ALPENZEIGER

Eine kurze Geschichte der Zeitschrift                        "DER ALPENZEIGER"

Die Nummer 1 erscheint am 14. Februar 1975.
Hg. ist eine Gruppe Aarauer Anarchistinnen, die ein anderes Leben wollen und die marxistische Allmacht ablehnen. Konzipiert ist das Magazin als Alternativ- und Leserzeitung. Erscheinungsweise soll 14täglich sein. Gedruckt wird der Alpenzeiger auf einer Tisch-Kleinoffsetmaschine, es wird viel mit Farbe gespielt, was leider oft auf Kosten der Leserlichkeit geht. Die Redaktion besitzt jedenfalls die Produktionsmittel.
Der Inhalt reicht vom Fabrikkampf über AKW-Widerstand bis hin zum Backen des eigenen Brotes. Ein klares Ziel ist auch die Verhöhnung des Aargauer Tagblatts und der freisinnigen Herrschaft in Aarau.
Es gibt etwelches Aufsehen und eine Menge Sympathisant
innen und Abonnent*innen.
Düdül alias Eduard Steiner wird mit seinem Comic über die Liberalen fester Mitarbeiter.
Nummer 9 enthält den ersten Mehrfarbendruck, total abverheit.
Nummer 15 enthält den ersten gelungenen Mehrfarbendruck: Düdüls Pilzregeln.
Nr. 20/21: Fremdnummer, von Aussenstehendem geschrieben und gestaltet: Über Carlos Castaneda. Gibt natürlich Lämpen mit Teilen der Redaktion und der Leserschaft.
Nummer 22: Kunstnummer mit Werken auf Selbstbeschriftungsmatritze, also ohne Original, von Hugo Suter, Christian Rothacher, Max Matter, Düdül, Guido Nussbaum etc.
Nr. 23, Januar 1976: Der erste Comic vom genialen Franzosen Reiser, enteignet und übersetzt.
Die 14tägige Erscheinungsweise kann ein ganzes Jahr durchgehalten werden, bis zur
Nummer 24.
Ab Mitte 1976 erscheint der Alpenzeiger immer unregelmässiger. Die Redaktion dünnt aus. Der Inhalt entfernt sich langsam von der ökologischen Lebenshilfe hin zu einem gesunden Zynismus. Mit der Eröffnung des „Ladens auf der Zinne" gibt es wieder öffentliche Redaktionssitzungen und strengere Erscheinungstermine.
Nr. 37, Oktober 1976: Neues Umschlagbild von Düdül Nr. 42: Zwei Jahre Alpenzeiger
In der Nr. 44/45 wird ein Skandal aufgedeckt: Die Kehrichtverbrennungsanlage Buchs vergiftet durch toxische Brennrückstände die Tiere des Breiteloohofs.
Nr. 50 des Alpenzeigers gibt es als Stoff-Wimpel, mit der gerade besorgten Siebdruckanlage gedruckt.
Auflage immer noch 300, diese geht vollständig weg an Abos und Ladenverkäufe.
Nr. 51: Alpenzeiger der Frauen
Ab Nr. 54. Flexible Titelblattgestaltung, Erscheinungstermin höchstens einmal im Monat.
Am 9. 11. 1977 taucht im Alpenzeiger zum ersten Mal das Wort „Punk" auf.
Nr. 57: Februar 1977, nur noch ein Alpenzeiger-Redakteur. Der erste situationistische Text (Raoul Vaneigem) taucht auf.
Man rappelt sich wieder auf. Eigener Fortsetzungscomic.
Nr. 63/4, Juni 1978: Selten gut gedruckter und lesbarer Alpenzeiger.
Nr. 68, November 1978: Nach der Schliessung des legendären Restaurants Affenkasten und der zugehörigen Brötlibar kommt es am letzten Abend zu schweren Ausschreitungen. Unter anderem wird die Theke der Brötlibar entführt. Die Polizei schreitet ein. Ein zweistündiger Strassenkampf entbrennt im ruhigen Aarau.
Nr. 70-73, März 1979: Der Alpenzeiger gönnt sich eine umfangreiche, von Funk Helio Service, Bern gedruckte Extra-Nummer. Auflage 1000 Stück. Eigentlich sollte die damalige linke Druckerei ropress in Zürich den Alpenzeiger drucken, aber die tun blöd oder wollen zu viel Geld. Titelblatt von Hugo Suter. Düdül is back.
Die Nummer 74 bis 79 werden wegen eines günstig erworbenen Papierrestpostens im
Format A5 gedruckt.

In der Nr. 75 vom Mai 1979 wird von einer Anarchistischen Föderation Aargau berichtet. Hat keine grösseren Auswirkungen.
Ab Nr. 80 moderate Preiserhöhung auf Fr. 1.50 pro Nummer.
Nr. 81/82/83: Spezialausgabe „Zukunft". Ab Dezember 1979 gibt es vier hart arbeitende Alpenzeiger-Redakteure.
21.12.1979: Erste Alpenzeiger-Soirée im Täfelikeller in Aarau, eine durch und durch kulturelle Veranstaltung mit den Bands „City Vibes" und „Animels" aus Zürich.
Grosserfolg für die Anarchie. Taucht auch in den Fichen der Alpenzeiger-Redakteure auf, die fälschlicherweise als RML-Mitglieder (Trotzkisten) bezeichnet werden.
Nr. 86/87, April/Mai 1980: Umschlag: Druck auf Goldfolie. Man spürt bei der Lektüre, dass bald etwas geschehen wird. Bewegig, Bewegig, Bewegig. Der Alpenzeiger ist angesichts der Lebenserfahrung seiner Redakteuere doch eher skeptisch. Aber es ist immerhin ein kultureller Aufbruch.
Nr. 88, Juni 1980, Auflage 500.
Nr. 90, August 1980, Auflage 600.
Nr. 92, Oktober 1980, Auflage 800. Die Jugendbewegung und die Verkäufe bei Demos und VVs sorgen für Konjunktur.
Nr. 93 ist das Plakat und die Ankündigung für die zweite Alpenzeiger-Soirée mit den Bucks, Dudleys Revenge und den Bermuda Idiots, die aus der Alpenzeiger-Redaktion hervorgehen. Weil die Besitzer des Täfelikellers kneifen, findet der Abend im Saal des Hotels Kettenbrücke statt. Erstmals und letztmals.
Nr. 94, Januar 1981, Auflage 1000. An einer der legendären Vollversammlungen der Zürcher Jugendbewegung beschwert sich Niklaus Meienberg bei einem Alpenzeiger-Verkäufer darüber, dass er in der letzten Nummer „unvorteilhaft dargestellt" worden sei.
Mit Nr. 97 folgt die Rückkehr zu Auflage 444: „sonst macht es keinen Spass mehr!" Nr. 100 a: Die Redaktion (2 aus Aarau, 2 aus Zürich) verbringen ein Wochenende im Maggiatal und schicken allen AbonnentInnen eine Ansichtskarte.
Nr. 100 b, Juni 1981. Der Umschlag ist ein Karton mit Braille-Schrift. Auflage 600. Immer radikal, niemals konsequent. Auf Seite 2 des Alpenzeigers hat es Platz zum Einkleben der Ansichtskarte Nummer 100 a, damit diese Nummer gültig ist: „Sonst vernichtet sich dieser Alpenzeiger innert 60 Sekunden." Müsste eigentlich 40 Jahre heissen. Erster
Kamagurka-Comic im Alpenzeiger.
Nr. 103/104: Auflage 800
Nr. 106: Plakat für die 3. Alpenzeiger Soirée, diesmal in der ehemaligen Postgarage beim Bahnhof Aarau. Durch zwischenmenschliche Verquickungen hat die Redaktion dieses Lokal, das sonst Jazz und Film vorbehalten ist, bekommen. Schönes Fest mit W 84, Bermuda Idiots und einer genialen Lesung von Düdül.
Nr. 107, Februar 1982, Düdül is back!
Nr. 108/109, April/Mai 1982: einer der besten Alpenzeigen ever. Und alles gut leserlich.
Nr. 114/15/16: Zweite Kunstnummer mit viel Zürcher Beteiligung.
Nr. 118, Februar 1983. Erstmals wird im Alpenzeiger die Stadt Olten erwähnt.
Nr. 119/120: Titelblatt im Sechsfarbendruck. Wunderschön. Zum ersten Mal ein Beitrag von Mike van Audenhove im Alpenzeiger.
Nr. 123: Wieder ein Plakat. André Breton.
Nr. 124-127, September 1983: Rock-Sondernummer
Nr. 128/129, Dezember 1983: Quasi eine Reiser-Sondernummer. Die Auflage sinkt wieder auf ein vernünftiges Mass. Im Schutze der Genossenschaft Drucki, in der zwei Alpenzeiger-Redakteure durchaus segensreich im Vorstand wirken, wird auf einer Kleinoffsetmaschine gedruckt, trotz mehrerer Domizilwechsel der Drucki.

Selbiges Kleinoffsetwunder druckt im Laufe der 1980er-Jahre auch Covers für Musicassetten, Prospekte, ja sogar Künstlerisches.
Nr. 131.-133, ca. März 1984, Beginn der berühmt-berüchtigten Dreifachnummern, der Alpenzeiger erscheint 4 mal im Jahr. Die Schweizer Post besteht auf einem streng regelmässigen Erscheinen, weil der Alpenzeiger dabei vom einschlägigen, günstigeren
Versand profitiert.
Nr. 136-138, Dezember 1984. Erstmals sind farbige Illustrationselemente eingeklebt.
Nr. 142-144, September 1985: „Die Zeitschrift für Durst und Kindermode". Geniales und fürderhin gültiges Editorial. Der Alpenzeiger kümmert sich weiterhin um internationale Kämpfe gegen den Staat und die humorlose Dummheit, weist auf abwegige Kultur wie Comics, unabhängige Musik und schräge Literatur hin und macht sich lustig über die Herrschenden und solche, die das werden wollen.
Nr. 145/146, Januar 1986, Auflage 700. Das „Goldene Kalb" wird eröffnet, Buchhandlung und Galerie am Ziegelrain 4 in Aarau. Eine Einrichtung, die den Alpenzeiger um ein paar Jahre überlebt.
Nr. 165-167, 1. Quartal 1988: Guido Nussbaum, Franz Dobler als Beiträger.
Nr. 174-176, ca. 1989: „Dieser Nummer liegt ein Einzahlungsschein bei. Mit dem kann der geneigte Abonnent 20 Franken auf unser Konto überweisen, woraus wir dann folgern, dass wir den Alpenzeiger weiterhin an seine Adresse senden sollen. Unterbleibt die Zahlung, unterbleibt die Lieferung. Auf ältere, evendöll gültige Zahlungen zu rekurrieren ist sinnlos. Ich hab im Suff die ganze Alpi-Administration in den Tiba-Herd gekippt. Hat für fünf warme Minuten gereicht." Tja, so ging das zu und her.
Nr. 177-179e22? Die rätselhafte Nummer, denn diese fehlt in unserer sonst kompletten Sammlung. Wer diese Alpenzeigerausgabe hat, bitte an uns senden. Oder wenigstens das Titelbild einscannen und an uns schicken. Schnüff ...
Nr. 180-182 erscheint nach längerer Pause Ende 1991. Nicht mehr selbstgedruckt und geklebt, sondern schwarz auf weiss, auch für die Blinden gut leserlich und schön säuberlich geheftet. Mit Urban Gwerder als Beiträger. Bush senior, die Grünen und viele Comics. Das nimmt ein bisschen überhand.
Nr. 183-189 erscheint zum 20jährigen Jubiläum im Februar 1995. Da findet ein grosses Fest im Zürcher Kanzlei statt, zusammen mit der Buchhandlung Paranoia City, die gleich alt wird wie der Alpi. Dies ist der letzte Alpenzeiger. Die übriggebliebenen Redakteure sind unterdessen vielfache Familienväter geworden und haben andere Verpflichtungen.
Irgendwann muss auch mal Ruhe sein. Das Editorial dieser letzten Nummer erzählt die Geschichte des Alpenzeigers noch einmal.
Nun hat die liebe Seele Ruh'.